Wanderbaumallee: Nimm Platz!
Früher trafen sich die Nachbar*innen auf einer Bank bei der Dorflinde. Unter dem Blätterdach plauderten und debattierten sie. Seit Jahrzehnten hat der motorisierte Verkehr den öffentlichen Raum erobert – mit Autostraßen und Parkplätzen. Viele kennen die Menschen in ihrem Quartier nicht und wünschen sich mehr Aufenthaltsorte und mehr Grün. Die Lösung? Platz nehmen! Und zwar wortwörtlich. Mit mobilen grünen Oasen laden wir von der Wanderbaumallee Stuttgart dazu ein, Lebensraum zurückzugewinnen und Straßen neu zu erleben. In enger Absprache mit der Stadtverwaltung werden Parkplätze zeitweise zu kleinen Parks. Angeregt von der Wanderbaumallee des Münchner Vereins „Green City e.V.“, haben wir 2019 Holzmodule mit Sitzflächen entworfen, in die ein Baum passt. Mit Rädern ausgestattet, lassen sich diese wie eine Schubkarre schieben. Diese Module rollen mittlerweile schon in vielen weiteren Städten durch die Straßen. Mit der Botschaft: Mehr Grün statt Asphalt.
Auf dieser Seite findest du alle Infos, Checklisten und Anleitungen, die du brauchst, um auch in deiner Stadt eine Wanderbaumallee auf die Straße zu bringen!
1. Lebendige Nachbarschaft
Mitreden unter Bäumen, Kaffee trinken oder quatschen: Die Wanderbaumallee zeigt, wie positiv sich eine dauerhafte Begrünung eines Viertels auswirkt. Zu den Baummodulen haben wir noch Hochbeete mit insektenfreundlichen Stauden entwickelt. Bei gemeinsamen Aktionen wächst die Nachbarschaft zusammen. Wie etwa beim Gießen der Pflanzen, bei einem Picknick unter Bäumen oder einem Kinderspielnachmittag. Und das alles direkt vor der eigenen Haustür. Über diese Begegnungsorte kommen die unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Dabei spielen Alter oder Herkunft keine Rolle. Mit frischem Grün verbessert sich das Stadtklima – in jeder Hinsicht.
2. Stimmiger Standort
Damit die Wanderbaumallee funktioniert, müsst ihr ein paar Dinge beachten. Die Bäume sollten auf öffentlichen Parkplätzen stehen. Für Bäume und Sitzplätze sind möglichst Straßen mit geringer Geschwindigkeit und Orte ohne starkes Gefälle optimal. Ihre ganze Pracht entfalten die Wanderbäume in Straßen, die nicht begrünt sind. Denn dort regt der Park auf Zeit dazu an, Bäume dauerhaft zu pflanzen. Findet eine engagierte Nachbarschaft, die sich Wanderbäume wünscht, diese gießen möchte und im Bestfall ein schönes Rahmenprogramm plant. Toll ist es, wenn die Nachbarschaft schon früh mithilft. Und etwa Module nach der Winterpause wieder flott macht und mit Bäumen und Stauden bepflanzt.
Tipp
Verseht eure Texte, Flyer und Posts mit einer klaren Aufforderung und macht
deutlich, wie man euch unterstützen kann: »Mach mit!« – »Nimm Platz!« – »Lauf mit!«
3. Papierkram – leicht gemacht
Mal ehrlich – die wenigsten füllen gerne seitenweise Anträge aus. Wir zeigen euch, wie ihr am schnellsten eure Genehmigungen und eine Versicherung für die Wanderbaumallee bekommt. Stellt zuerst der lokalen Vertretung, wie etwa Bezirks- oder Ortsbeiräten, eure Idee vor. Habt ihr den Rückhalt der Mitglieder? Dann besorgt euch eine Genehmigung für die Sondernutzung im öffentlichen Raum. Diese braucht ihr für die Standorte der Bäume. Zuständig dafür ist die Stadtverwaltung, in Stuttgart das Amt für öffentliche Ordnung, Abteilung Straßenverkehr. Die Baumwanderung selbst könnt ihr als Demonstration anmelden. Wir empfehlen außerdem eine „Veranstalter-Haftpflichtversicherung“. Am einfachsten ist, ihr schließt euch dafür einem Verein mit ähnlichen Zielen an. Kleingartenvereine sind beispielsweise für solche Aktivitäten versichert.
4. Mithelfen und fördern
Da wir viel selbst machen, sind die Kosten für die Wanderbaumallee Stuttgart überschaubar. Glücklicherweise unterstützen uns viele Initiativen und Bürger*innen der Stadt als Helfer*innen, Baumpat*innen und Spender*innen. Nachdem wir den gemeinnützigen Verein Tilia e.V. gegründet haben, können wir auch Spendenquittungen ausstellen. Finanziell fördern uns die jeweiligen Bezirksbeiräte, Stiftungen und Unternehmen. Zu den Ausgaben: Für einen Strauch oder Baum zahlen wir in der Gärtnerei ca. 50 bis 300 Euro. Ein Modul zu bauen, kostet uns neben vielen ehrenamtlichen Arbeitsstunden rund 300 Euro. Dazu kommen noch die Auslagen u.a. für Flyer, Homepage, Verpflegung und ggf. Künstler*innenhonorare.
5. Bäume bekommen Beine
Mit unseren Holzmodulen machen wir Birnbaum und Co. mobil. Unser Ausgangsmaterial sind 20 Millimeter dicke Seekieferplatten, aus denen wir Bausätze sägen und bei öffentlichen Bau-Events verschrauben. Dabei können alle mithelfen – auch ohne Profi zu sein. Der Akkuschrauber ist unser „schwerstes Gerät“! Die fertigen Module sind sehr stabil und lassen sich mit zwei Bambusstangen wie eine Schubkarre schieben. Die dazu passenden Bäume sollten Hitze gut vertragen, nicht höher als zwei bis drei Meter und für Container geeignet sein. Unsere Tipps rund um die Baum- und Staudenauswahl findet ihr hier: Hängebirke & Co.
Tipp
Wanderbäume könnt ihr wie einen Handkarren auch ohne Genehmigungen durch die Straßen ziehen. Lest euch dazu mal den § 25, Absatz 2 der StVO durch.
6. Alle(e) in Bewegung
Jetzt geht es quer durch die Stadt! Die Genehmigungen sind eingeholt, Bäume und Stauden sitzen in ihren Modulen und rollen los. Je nach Steigung und Gefälle ziehen oder schieben ein bis zwei Menschen ein Baummodul. Die Polizei begleitet die Wanderung, und an der Spitze tragen Helfer*innen das Wanderbaum-Banner. Die reisenden Bäume fallen auf. Bewohner*innen lehnen sich aus den Fenstern, lachen, Passant*innen klatschen, manche sind verwundert. Am Standort angekommen, steuern die Teilnehmer*innen die freigehaltenen Parkplätze an. Sie sind, wie die einzelnen Module, mit Nummer versehen, damit die Bäume an die richtige Stelle kommen. Nachdem die Module standfest gemacht worden sind, kann das Willkommensfest losgehen.
7. Richtig informieren
Um möglichst viele Menschen für die Wanderbaum-Idee zu begeistern, ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit wichtig. Aktuelles und Hintergründe geben wir über Social Media und auf unserer Homepage bekannt. Und natürlich auch vor Ort: mit Handzetteln in den Briefkästen und Flyern an den Modulen. An die Äste der Wanderbäume hängen wir außerdem Etiketten mit den Baumnamen und in vielen Sprachen die Einladung, sich hinzusetzen.
„Nimm Platz!“ haben wir auch auf die Rückenlehnen der Module gesprüht. Regelmäßig veröffentlichen wir Aufrufe zu aktuellen Events, wie etwa zu Bau-Tagen und Baumwanderungen. Wichtig ist, dass auch die Presse über die Wanderbaumallee berichtet. Ladet deshalb Zeitungen und Fernsehsender ein. Denn die Medien nehmen Bilder mit wandernden Bäumen sehr gerne auf.
8. Öffentlichen Raum beleben
Eine besondere Bedeutung hat die Aktivierung der Wanderbaumallee am neuen Standort. Wenn etwa ein A-capella-Ensemble ein Ständchen unter Bäumen singt, es auf der Straße Crashkurse für Salsa oder Bangladeshi-Dance gibt, Kinder mit Kreide den Asphalt verschönern, wenn beim Feierabend unter Bäumen die Tapas schmecken oder Mal-Sessions das Viertel bunter machen. Die Begeisterung der Teilnehmer*innen zeigt, dass wir unbedingt mehr gemeinschaftlich nutzbare öffentliche Räume brauchen. Orte, an denen sich Menschen begegnen und kennenlernen können. Wo sich Nachbar*innen aus dem Viertel treffen, mit Passant*innen ins Gespräch kommen. Wo Kinder sichere Plätze zum Spielen und Toben haben. Und das, ganz einfach, zwischen den Häusern, in denen sie leben.
Tipp
Seht euch nach Ausschreibungen oder Wettbewerben um (etwa des Sozial- oder Kulturamtes etc.). So könnt ihr bei Aktionen oder Festen z.B. auch Honorare für Musiker*innen, Tanzlehrer*innen etc. finanzieren.
9. Bleibebäume schlagen Wurzeln
Im Herbst, am Ende der Saison, heißt es dann Wanderbaum Ade (Schwäbisch für „Tschüß“). Und aus Wanderbäumen werden Bleibebäume. Wir suchen Pflanzorte aus, die öffentlich zugänglich sind, und mit den Menschen vor Ort pflanzen wir die Bäume ein. Während die Bäume in ihren neuen Quartieren Wurzeln schlagen, lagern wir die Module an einem trockenen Platz ein und planen die nächste Saison!
10. Die Wanderbaumallee wirkt
Was uns sehr freut: Mit unseren Aktionen haben wir schon einiges angestoßen. Einige Nachbarschaften haben sich in Initiativen organisiert und setzen sich dafür ein, dass ihr Viertel grüner und verkehrsberuhigt wird. Und: In bisher rund 20 Städten sind die in Stuttgart ausgetüftelten Baummodule mit Sitzflächen auf den Straßen unterwegs.
„How to Wanderbaumallee“ ist ein 2023 durchgeführtes Projekt von Tilia e.V.
Inhalt und Redaktion: Tilia e.V.
Grafik und Gestaltung: Gabriella Micciche
Text: Annik Aicher
Finanziert durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration aus Landesmitteln, die der Landtag von Baden-Württemberg beschlossen hat.